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Der Mythos der Selbstkontrolle

Geschrieben von Kevin Kunert

Von klein auf wird der Mensch häufig mit dem Nutzen und Lohn der Selbstkontrolle konfrontiert. Die Bibel demonstriert uns den ersten Fall der mangelnden Selbstkontrolle. Adam und Eva essen von der verbotenen Frucht und können ihrem Drang nicht widerstehen. Sie werden aus dem Paradies geworfen. Die Schlussfolgerung: Mehr Selbstkontrolle hätte dies verhindert. Ist das wirklich so? Ist es das, was uns die Bibel lehren will? Gibt es überhaupt ein Training der Selbstkontrolle und hat dies langfristig wirklich einen positiven Effekt?

 

"´Anstrengende Zurückhaltung, bei der man gegen sich selbst kämpft - die Vorteile davon werden überbewertet´, sagt Kentaro Fujita, ein Psychologe, der Selbstkontrolle an der Ohio State University studiert.

 

In der Tat haben Studien ergeben, dass der Versuch, Menschen beizubringen, Versuchungen zu widerstehen, entweder nur kurzfristige Erfolge bringt oder gänzlich scheitern kann. ´Wir scheinen nicht besonders gut darin zu sein, uns selbst zu kontrollieren´, sagt Brian Galla, Psychologe an der Universität von Pittsburgh.

 

´Unser prototypisches Modell der Selbstbeherrschung ist der Engel auf der einen Seite und der Teufel auf der anderen, und sie kämpfen es aus", sagt Fujita. "Wir neigen dazu, Menschen mit starker Willenskraft als Menschen zu betrachten, die in der Lage sind, diesen Kampf effektiv zu führen. Tatsächlich haben die Menschen, die wirklich gut in der Selbstkontrolle sind, diese Kämpfe gar nicht erst.´"

 

Wie ich bereits in einigen Beiträgen analysiert habe, liegt der Hauptgrund für das Scheitern zur Erreichung bestimmter Ziele im Müssen und Sollen. Müssen und Sollen sind logische Konsequenzen aus einem Mangel an Selbstvertrauen. Sofern ich mir selbst nicht vertraue, kann ich auch nicht meinem Wollen (oder Willen) vertrauen, denn es kommt von mir. Wenn ich meinem Wollen nicht vertraue, werde ich bestrebt sein, sicher zu gehen. Viele Menschen wissen aus ihrer Lebenserfahrung, dass das nicht funktioniert, jedoch hängen sie noch an der Illusion, dass es vielleicht doch funktionieren könnte. Sie wollen vermeiden, dass sie irgendwann das Gefühl haben könnten, nicht ihr Bestes gegeben zu haben. Deshalb bringen sie das Müssen und Sollens überhaupt mit ins Spiel. Es ist ein Versuch, das zukünftige Gewissen zu beruhigen, sofern man das Ziel nicht erreicht hat.

 

Interessant ist natürlich auch, dass in den Studien gerade jene Menschen über ein hohes Maß an Selbstkontrolle verfügen, die gar keine Selbstkontrolle ausführen. Das klingt im ersten Augenblick paradox, lässt sich aber leicht erklären. 

 

Wie bereits viele Psychologen erkannt haben, scheint es ein Prinzip zu geben, dass das Erreichen von Zielen aushebelt, sofern wir in unnatürliche Anstrengung verfallen. Unnatürliche Anstrengung meint hier das Müssen und Sollen. Der Versuch sich mehr anzustrengen, als notwendig ist. Charles Baudouin nannte es das Gesetz des entgegengesetzten Aufwandes, wobei er sich eher auf die kurzfristigen mentalen Auswirkungen konzentrierte. Daniel M. Wegner nannte es das ironische Prinzip und verfolgte einen langfristigen Ansatz. Das kurz- und langfristige Ergebnis ist jedoch identisch und die Ursache gleich. Man spricht von mentaler (kognitiver) Ermüdung. Der menschliche Organismus ist perfekt darauf ausgelegt, seine Kräfte effizient zu nutzen. Ein Eingriff in Form der Selbstkontrolle führt lediglich dazu, dass man mehr Kräfte verbraucht, was sich dann darin äußert, dass man langfristig aufgrund der kognitiven Ermüdung das Wollen (Ziel) aufgibt. Die Art der Selbstkontrolle, die meistens gelehrt wird, lässt auch die Funktion des menschlichen Geistes außenvor. 

 

"Es gibt immer noch die starke Annahme, dass das Ausüben von Selbstkontrolle vorteilhaft ist", sagt Milyavskaya, Professorin an der Carleton University, mir. "Und wir zeigen, dass es auf lange Sicht nicht so ist."

 

Hier zeigt sich bereits, weshalb die Anwendung des Gesetzes der Annahme häufig nicht zu den erwünschten Ergebnissen führt und/oder die Erreichung bestimmter Manifestationen nicht langfristig anhalten. Sofern man bestrebt ist mithilfe der Selbstkontrolle, seine imaginativen Aktivitäten in gewünschte Bahnen zu bringen, wird man sich langfristig mit dem ironischen Prozess bekannt machen. 

 

Der Mensch bringt die Selbstkontrolle häufig in Spiel, wenn er glaubt etwas tun zu müssen, was er nicht tun will. Es ist ihm wichtig, X zu tun, doch er mag es nicht tun. Wie ich bereits in meinem Beitrag "Mögen vs. Wollen" aufgezeigt habe, tut der Mensch auch Dinge, die er nicht mag, sofern er es will. Beim Müssen und Sollen werden wir damit kofrontiert. 

 

Man kann das auch in anderen Worten ausdrücken: Ich glaube etwas tun zu müssen, weil ich nicht glaube, nur weil es mir wichtig ist, werde ich es auch tun. Was sich hier ausdrückt ist ein Mangel an Selbstvertrauen. Ich vertraue mir selbst nicht, dass ich etwas tue, was mir wichtig ist - selbst dann, wenn ich diese Tätigkeit nicht mag. Ich vertraue grundsätzlich meinem eigenen Wollen nicht. 

 

Es geht also nicht darum, ob ich die Aktivität mag oder nicht mag. Es geht lediglich darum, ob ich die Aktivität ausführen will oder nicht. Viele Menschen vermischen ihr Wollen mit ihrem Mögen und daraus ergibt sich das Problem der Selbstkontrolle. Das äußert sich darin, dass man glaubt, wenn man etwas nicht mag, bedeutet es auch, dass man es nicht tun will. Ich muss zur Arbeit, aber ich will nicht - das ist eine Aussage, die dies sehr gut demonstriert. 

 

In erster Instanz sagt diese Aussage aus, dass es mir wichtig ist, zur Arbeit zu gehen - denn ich erwarte dadurch bestimmte Vorteile und das Vermeiden bestimmter Nachteile. Ich will zur Arbeit gehen, andernfalls würde ich die Aussage überhaupt nicht treffen (der Gedanke würde nicht aufkommen). Das ich die Arbeit oder den Weg zur Arbeit nicht mag, ändert daran nichts. Es sind zwei unterschiedliche Dinge, die sich auch unterschiedlich auswirken. Dass ich die Arbeit nicht mag, wird sich emotional auswirken. Das ich aber zur Arbeit will, wird sich motivierend (bewegend) auswirken. Und es spricht auch nichts dagegen, dass ich die Arbeit oder den Weg zur Arbeit nicht mag. Ich kann ihn nicht mögen. Ich kann jedoch eingestehen, dass ich zur Arbeit will, weil es mir Vorteile bietet. In diesem Fall gibt es keinen Grund zur zwanghaften Selbstkontrolle. 

 

Der Mensch kämpft mit sich selbst in Form der Selbstkontrolle, weil er glaubt, gegen seinen eigenen Willen "benutzt" zu werden - was eine Unmöglichkeit ist. Der Schleier löst sich auch in diesem Fall, wenn er Glücklichsein nicht mehr mit dem Fühlen bestimmter Emotionen gleichsetzt. 

 

Abschließende Worte: Selbstkontrolle - wie es die meisten Menschen verstehen und praktizieren - entsteht aus einem Mangel an Selbstvertrauen und führt langfristig nicht zum erwünschten Ergebnis. Das gilt auch für die Selbstkontrolle bezogen auf die Imagination oder Gedankenwelt. Wenn sich jedoch der Zwang zur Kontrolle löst, könnte man meinen, dass man mehr Selbstkontrolle hätte, da man sich effizienter auf die Erreichung seiner Ziele bewegt.

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