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Fühlen und Denken - Der Kampf mit uns selbst

Geschrieben von Kevin Kunert

Der Philosoph Jean-Jacques Rousseau stellte folgende These auf: Der Mensch ist von Natur aus gut, und alles, was nicht natürlich ist, hat uns von diesem natürlichen Zustand entfernt. 

 

Diese Idee ist wiederum in der Tatsache verwurzelt, dass wir fühlen, bevor wir denken - dass Emotionen natürlich sind und das Denken ein Produkt sozialer Konditionierung. Mit sozialen Konditionierungen sind unsere erlernten Annahmen gemeint. Erst zwischen dem 5. und 7. Lebensjahr entwickelt der Mensch die Fähigkeit des kritischen Verstandes aus. Zuvor hat er keine Möglichkeit, die Annahme seiner autoritären Personen (vor allem seiner Eltern) zu hinterfragen. 

 

Jede Annahme durchläuft einen Lernprozess. Wir haben noch keine Beweise für die Annahme, doch je mehr wir die Annahmen kopieren, desto mehr werden wir Beweise für die Annahme in unserer Welt finden.

 

Menschen haben häufig den gesamten Lernprozess ihrer frühkindlichen Annahmen vergessen und leben diese Annahmen auf unbewusste Art und Weise als eine Wahrheit. Die Idee, die frühkindlichen Annahmen zu hinterfragen, kann dadurch nicht aufkommen. Eine Wahrheit, selbst wenn sie falsch ist, bedarf keiner Hinterfragung.

 

Die fundamentalste frühkindliche Annahme ist, dass der Mensch von Natur aus schlecht ist und seinem Glück und Wohlbefinden zukünftig schaden könnte. Diese Annahme hat sich über Jahrtausende gesellschaftlich etabliert und viele religiöse, philosophische, psychologische und spirituelle Schriften greifen diese Annahme als eine unantastbare Wahrheit auf. Doch sofern die Annahme - auf der diese Schriften beruhen - widerlegt wird, so ist der gesamte Inhalt anzuzweifeln. Es stellt sich also die Frage aller Fragen: Ist die Annahme, dass die Natur des Menschen selbstzerstörerisch und schlecht sei, wahr? 

 

Sofern wir glauben, dass diese Annahme wahr ist, werden wir ihre Auswirkungen im Leben spüren. Eine der Auswirkungen besteht darin, dass wir Unglücklichsein (sich schlecht fühlen) als Motivation nutzen, um unsere Ziele zu erreichen. Das ist eine logische Folgerung aus der Annahme. Glaube ich, dass ich mir auf natürliche (mühelose) Weise schaden könnte, werde ich auf den mühelosen Weg verzichten und mich anstrengen. Diese unnatürliche (mühevolle) Anstrengung macht sich im Müssen und Sollen bemerkbar. Der Mensch nutzt also das Müssen und Sollen als zusätzliche Motivation, um seine Ziele zu erreichen. 

 

Übung: Meditiere heute ein paar Minuten über die Frage, wie Du Unglücklichsein (sich schlecht fühlen) als Motivation nutzt. 

 

Die Annahme, dass der Mensch sich von Natur aus schaden könnte, setzt jegliches Selbstvertrauen außer Kraft. Die Annahme wirkt sich auch darin aus, dass wir keinen Frieden in unserem Fühlen finden. Wir werden im stetigen Kampf gegen unsere natürlichen Gefühle sein und uns durch die frühkindliche Annahme versklaven. Es ist kein Wunder, dass sich das Müssen und Sollen wie eine Selbstversklavung anfühlt. 

 

Doch wie gelangt der Mensch wieder in seine emotionale Freiheit? Emotionale Freiheit stellt sich ein, wenn der Mensch nicht mehr seine Gefühle fürchtet. Er fürchtet seine Gefühle nicht mehr, wenn er versteht, dass keine Emotion jemals ihm schaden wollte, sondern dass alle Emotionen immer auf das Wohlbefinden des Menschen ausgerichtet sind. Ich unterstreiche hier, dass ich von allen emotionalen Zuständen spreche; Traurigkeit, Angst, Wut, Freude, Frieden, Unbehagen, Frustration, Einsamkeit, Hilflosigkeit, Lust, Leidenschaft, Liebe, Verbundenheit, Sinnlosigkeit etc. 

 

Sofern sich die soziale Konditionierung löst, werden wir auf ganz natürliche Weise immer mehr zu unseren Gefühlen stehen können. Die gewonnene emotionale Freiheit wird sich in einer mentalen Freiheit niederschlagen und gibt uns als letzte Konsequenz die Freiheit unseres Handelns wieder. So finden wir wieder unsere Mühelosigkeit, denn nur der Einklang mit seiner eigenen Natur birgt die Mühelosigkeit in sich selbst. Das Gefühl der Notwendigkeit - etwas bestimmtes fühlen zu müssen - erlischt. Wir gehen in einen Zustand des Fließens über und leben den Augenblick. Was immer der Mensch im Hier und Jetzt fühlt, wird als bestmöglich wahrgenommen. Was immer der Mensch im Hier und Jetzt denkt, wird als bestmöglich wahrgenommen. Was immer der Mensch im Hier und Jetzt tut, wird als bestmöglich wahrgenommen. 

 

Aus dieser Freiheit des Glücks entfaltet sich alles auf ganz natürliche Weise. Wir werden von unserem Wollen gezogen und können das Wollen als Weg zum Ziel mit jeder Faser unseres Seins genießen. 

 

Das natürliche Denken kann entstehen, wenn der Mensch zu der Natur seiner Gefühle steht. Dadurch nimmt die Vernunft wieder ihre natürliche Rolle ein; ein nützliches Tool, um sich in dieser Welt auszudrücken.

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